Als Kaiser Konstantin im Jahr 355 die Bischöfe der christlichen Kirchen zu einem allgemeinen Konzil zusammenrief, forderte er unter anderem von ihnen, ein allgemein gültiges Glaubensbekenntnis zu formulieren. Es begann mit den Worte „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erden.“

Ursprung und Allmacht, diese beiden Attribute bestimmen Gott in seinem Verhältnis zu den ihn bekennenden Menschen von Anfang an. Wenn Menschen von Gott reden, sprechen sie von seiner Macht, in das Leben einzugreifen und es zu verändern – und das jenseits gewohnter Bahnen und Möglichkeiten. Das kann sich auf klassische „Wunder“ beziehen: etwas die Teilung des Meeres für die Israeliten beim Auszug aus Ägypten bis hin zur Auferweckung eines Toten durch Jesus. Es kann sich aber auch um ein Erlebnis im persönlichen Rahmen – etwa die Genesung von einer potentiell tödlichen Krankheitoder der Begegnung mit einem besonderen Menschen – handeln, die so nachhaltigen Einfluß auf das eigene Leben ausübt, dass man sie einer höheren Macht zuschreibt. Wenn wir Gott auch „den Allmächtigen“ nennen, kann das für den Einzelnen auch die Anerkennung dessen sein, dass Gott sich über die normale Kausalität hinwegsetzen oder sie nach seinem Willen beinflussen kann.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis wir zu Gottes (All-)Macht stehen – sind wir als Menschen rein ohnmächtige Wesen, der Macht Gottes untertan? Dies so zu formulieren ist hart und vergißt, dass wir nach biblischer Lehre „Abbilder Gottes“ sind und als solche an seiner Macht und Herrlichkeit teilhaben, auch wenn wir sie nicht voll realisieren.

Im menschlichen Kontext ist Macht und ihr negatives Pendant, die Ohnmacht, immer in Strukturen eingebunden – seien sie nun zwischenpersönlicher, familiärer, beruflicher oder gesellschaftlicher Art. Sie kann bewußt oder unterbewußt ausgeübt werden und unterschiedliche Grundlagen haben – Fähigkeit zu Belohnung oder Bestrafung, Anerkennung, Gruppenidentifikation oder Kompetenz.

Von der objektiven Seite von Macht einmal abgesehen hat Macht auch immer eine subjektive Seite. Sie wird im wesentlichen davon begründet und reproduziert, wie wir über sie denken und mit welcher Einstellung wir ihr begegnen: akzeptieren wir Macht und den damit verbundenen Anspruch als legitim und bewegen uns im uns gesteckten Rahmen oder tendieren wir eher dazu, sie kritisch zu sehen und uns gegen sie zu wehren?

In den letzten Monaten ist das Thema Macht und Machtmißbrauch durch die erstarkende „#MeToo“-Bewegung ins Bewußtsein der internationalen Öffentlichkeit gerückt worden. Der Fokus der medialen Öffentlichkeit liegt stark auf den USA und England, konzentriert sich aber meist auf prominente Fälle. In den allermeisten Fällen geht es um einen Machtmißbrauch durch Männer, und das positivste Ergebnis des großen Medienrummels um Personen wie Weinstein, Wedel und Spacey dürfte sein, dass über den Zusammenhang von Macht, Abhängigkeit und Machtmißbrauch so offen wie schon lange nicht mehr gesprochen wird. Und dass auch eine so aufgeklärt-moderne Gesellschaft wie die unsrige immer noch eine massive strukturelle Benachteiligung von Frauen ermöglicht (deutlich geringerer Lohn, sexuelle Belästigungen, Nachteile bei Versicherungen, Arbeitsverträgen etc.), sollte uns zu denken geben.

Auch wenn sich die einzelne Person in einem Machtgefüge eher als ohnmächtig sieht, ist es doch meist keine absolute Ohnmächtigkeit, sondern ein Reflex auf die existierende Struktur, die einen an den eigenen Möglichkeiten zweifeln lässt. Viele basisdemokratische Initiativen – von der lokalen Umweltgruppe, dem Sozial- und Eine-Welt-Laden über Datenschutzaktivisten im Internet bis zur weltweiten Friedensbewegung – zeigen, dass auch in kleinem Rahmen große Dinge bewegt werden können. Manche idealistischen Vorstellungen der 1970er Jahre sind zwar inzwischen gesellschaftlicher Konsens, wenn auch noch längst nicht umgesetzt: Atomausstieg, verbesserte Gleichberechtigung, Umweltschutz auf höchster Ebene…

Gerade vor Ostern sollte man außerdem eine Sache nicht vergessen: nach dem christlichen Glauben wird eben jener allmächtige Gott in Jesus ein Mensch unter Menschen, schwach, verletzlich und sterblich. Auch die selbstgewählte Machtlosigkeit ist Teil der Allmacht – wenn Gott dies nicht möglich wäre, wäre er nicht allmächtig. Paulus schreibt in 2. Kor 12,9 „[Gottes] Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ [1] und meint damit, dass die eigene Schwachheit der Hintergrund ist, vor dem die Macht und Gnade Gottes in ihrer stärksten Form hervortreten kann. Das ist nicht als Trostformel zu verstehen, sondern nimmt eine Grunderfahrung menschlichen Lebens ernst: in vielen Dingen sind wir machtlos, schwach und eben nicht die gloriosen Helden unseres eigenen Films. Und da können wir Gottes Macht gut vertragen. Seine Macht ermöglicht es unserer Ohnmacht, nicht das Ende unserer Geschichte zu sein, sondern immer Neues wagen zu können.

[1] zitiert aus der Lutherübersetzung von 2017

Veröffentlicht im Gemeindebrief 01/2018 der Ev.-luth. Kirchengemeinde Moosburg a.d. Isar.

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