Die Lesung der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium endet mit dem Gesang der himmlischen Heerscharen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Als Aufruf aus dem Weihnachtsgeschehen heraus ist das eine programmatische Aussage, aber sie steht in scharfem Kontrast zu der Welt, die sich uns heute bietet.

Mit diesem Widerspruch müssen sich Christen seit damals auseinandersetzen. Der Gott, der ihnen einerseits Frieden als Ausweis seiner Gegenwart auf Erden verspricht, scheint doch oft machtlos zu sein gegen die Auseinandersetzungen, die auf der Welt toben. Gelegentlich ist man als Christ auch gezwungen, sich mit der Geschichte und Vorgeschichte der eigenen Religion auseinanderzusetzen – die Erzählungen der jüdischen Bibel, unserem Alten Testament, sprechen von einem Gott, der seinem Volk gewaltig voranzieht und die Feinde in Schrecken fliehen lässt; ganze Völker werden zu Feinden erklärt, und die Einwanderung der Israeliten in das Gelobte Land stellt sich als eine kontinuierliche Abfolge von Kämpfen dar. Dass dies historisch vermutlich nicht immer haltbar ist, steht auf einem anderen Blatt – hier wird Krieg als von Gott gewollt oder zumindest geduldet gezeichnet.
Das „deus lo vut“ („Gott will es!“) der Kreuzzugsaufrufe des Hochmittelalters, die religiös konnotierten Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges und die Formel „Für Gott und Vaterland“ des Ersten Weltkrieges entspringen allesamt der Überzeugung, dass der Kampf ein von Gott gewollter und gesegneter war. Auch die Verwendung der Begriffe „Heiliger Kampf“ oder „Heiliger Krieg“ durch die meisten Teilnahmestaaten des 2. Weltkriegs und die Instrumentalisierung des Begriffes durch Terroristen jeglicher Prägung verweisen darauf.

Der momentan Kampf gegen den „Islamischen Staat“ beispielsweise stellt uns vor die Frage: kann ein Krieg gerecht sein, und wenn ja, was rechtfertigt ihn? Kommt es auf die Konfliktteilnehmer an – darf ein Staat beispielsweise gegen andere Staaten oder nur gegen Gruppen (wie zur Zeit in Syrien) kämpfen? Können Kriege gerechtfertigt werden durch internationales Recht oder die Vereinten Nationen? Gibt es das Recht zur Kriegsführung zur territorialen Verteidigung oder als Präventivkrieg gegen einen möglichen Agressor?
Schließlich: ist ein Krieg gerecht, bei dem sich nur Soldaten gegenseitig töten? Und wie gerecht ist ein Krieg gegenüber den Nachkommen, den Unbeteiligten, auch gegenüber der Natur?

In Deutschland werden militärische Optionen zur Konfliktlösung gerade nach den Erfahrungen des 2. Weltkriegs als „ultima ratio“, als „letzten Möglichkeit“ angesehen. Ob sie das allerdings auch wirklich sind, kann und muß nach den Erfahrungen mit internationalem Krisenmanagement stark bezweifelt werden.

Wenn Frieden mehr sein soll als die Abwesenheit von Krieg, dann bedarf es einer anderen Herangehensweise – die des sogenannten „gerechten Friedens“.
Die grundlegenden Prinzipien eines solchen „gerechten Friedens“ beinhalten den absoluten Vorrang gewaltfreien Handelns und damit verbunden auch eine Förderung der Vielfalt der Kulturen beim gleichzeitigen Abbau von bestehenden Ungleichheiten in der Verteilungsgerechtigkeit. Dies berücksichtigt, dass Konflikte nie aus dem Nichts entstehen, sondern immer das Ergebnis jahre-, oft jahrzehntelanger Probleme sind. Punktuelles Eingreifen kann in solchen Fällen keine Lösung bringen, wie der 2. Golfkrieg eindrucksvoll bewiesen hat.

Wenn Christen ihren friedliebenden Gott als Freund der Menschen bekennen, beinhaltet dies für viele auch einen grundsätzlichen Pazifismus eines Jesus, der predigt: „Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dem bietedie andere auch dar.“ (Mt 5,39). Wie das zusammenzudenken ist mit dem Jesus, der wenig später über sich sagt „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10,34) – das ist eine andere Sache.

Der „gerechte Friede“ (und Gerechtigkeit ist ein weiteres Attribut Gottes!) fordert vermutlich mehr von jedem einzelnen als der „gerechte Krieg“. Ehrlicherweise benötigt ein „gerechter Friede“ sogar eine Theorie des „gerechten Krieges“, weil die thematische Auseinandersetzung mit dem real existierenden Krieg zwangsläufig ist, will man sich nicht in reinen Gedankenspielen ergehen.
Ein gerechter Friede erfordert das persönliche Engagement eines jeden Menschen, der sich um Frieden bemüht, anstatt nur die Abwesenheit von Krieg zu erfahren. Gerechter Handel gehört dazu – kaufe ich dort ein, wo ich sicher sein kann, keine Unterdrückung mitzufinanzieren? Gerechte Geldanlage ist möglich (ob nachhaltig in Umwelt- oder Sozialaspekten). Frieden beginnt – ein Credo der Friedensbewegung wie der christlichen Urgemeinde bei Paulus – mit dem Frieden unter den Nächsten, der Familie und Nachbarn. Das ist keine leichte Aufgabe, aber ehrlich ist es auf jeden Fall – und damit ein Schritt hin zu einer anderen Welt. Und dass die Welt, wie sie ist, nicht friedlich ist, gehört leider zu den Grunderkenntnissen. Die Frage an jede Einzelne, an jeden Einzelnen ist, was sie oder er dazu tun kann und will, damit sich die Welt ändert.

Aktiv für den Frieden zu leben ist ein Schritt in die richtige Richtung. Schließlich geht Gott in der Weihnachtsgeschichte auf uns Menschen zu – die Hirten, die zur Krippe kamen, gingen anders von dort fort, als sie gekommen waren. Der Friede, der „den Menschen seines Wohlgefallens“ geschehen soll, ist nicht von dieser Welt, aber für diese Welt. Und als Christen sind wir dazu berufen, diesen Frieden möglich zu machen, auch in kriegerischen Zeiten.

Christian Weller

Veröffentlicht im Gemeindebrief 01/2015 der Ev.-luth. Kirchengemeinde Moosburg a.d. Isar.

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