Dass wir in einer hektischen Welt leben, ist keine Neuigkeit für die meisten für uns. Fast jeder Beruf verlangt es, pünktich und zu einer festgelegten Zeit anwesend zu sein. Man arbeitet mit Kollegen vor Ort zusammen, hat Termine, muss Planungen einhalten, rechtzeitig etwas fertigstellen, ausliefern, wegschicken. In der Schule sieht‘s da nicht viel besser aus, der Stundenplan heißt nicht ohne Grund so.
Unsere Welt hat sich darauf eingestellt: es gibt die Fünf-Minuten-Terrine, die „Lila Pause“ (der Schokoriegel ist in 30 Sekunden verputzt)und das „Frühstückchen“ (in noch kürzerer Zeitzu essen, wenn man das Joghurt nicht gleich direkt aus der Flasche trinkt), und für den Schrecken bleibt auch nur eine Sekunde übrig.

Gemeindebrief der ev.-luth. Kirchengemeinde Moosburg, 2013

Im Gegensatz dazu bekommen wir täglich neue Superlative präsentiert: zwei Jahrhundertsommer allein schon in den letzten paar Jahren – von den Fluten und Tsunamis mal ganz zu schweigen – , einige Jahrhundertgenies und bereits Anfang Januar den „Film des Jahres“. Unsere Zeit wirdeinerseits von aussen in kleinste Einheiten zerlegt, andererseits in kaum mehr überblickbare Zusammenhängegestellt. Viele Menschen fühlen sich dadurch nicht mehr als Herren ihrer Zeit, sondern getrieben und fremdbestimmt.

Ein Wort, das in aller Munde ist, ist die berühmte „Entschleunigung“. „Machen Sie mal langsam!“, sagt die Chefin, „Lass es ruhig angehen und mach nur eine Sache gleichzeitig“, rät der Kollege. Aber was nutzt es, wenn eine Seminararbeit fertig geschrieben werden, ein Projektplan eingereicht, der Zaun aufgestellt werden muss, bevor der Tag zu Ende geht? Die tolle Entschleunigung verschwindet durchs Hintertürchen, und der Tagesstreß hat einen wieder erwischt.

Vielleicht hilft es, an diese alltägliche Hektik mit einem anderen Konzept heranzugehen. Manchmal muss man den Schnitt machen und zur Seite treten, um wieder Luft holen zu können. Der freie Sonntag ist eine solche Auszeit, und es ist gut und richtig, sich dafür einzusetzen, dass er für möglichst viele Menschen auch eine solche Auszeit bleiben kann. Eine biblische Begründung für den Sonntag ist der siebte Tag
der Schöpfung, an dem Gott selber ruhte – übrigens nach einem gigantischen Schöpfungsakt, der dann zurückhaltend als „sehr gut“ beschlossen wurde.

Die größte christliche Auszeit, die wir im Jahr haben, ist die Passionszeit vor Ostern – eine Aufforderung, auf Ostern langsam und bewußt zuzugehen. Das traditionelle Fasten mit Einschränkungen im Speiseplan ist nicht jedermanns Sache – aber es gibt andere Wege, sich Aus-Zeiten in diesen Tagen zu nehmen. Die Aktion „Sieben Wochen ohne“ der evangelischen Kirchen bietet da interessante Ansätze: eine Zeit ohne
Ausreden („Ich war‘s!“), ohne Ehrgeiz („Gut genug!“) oder ohne Geiz („Verschwendung!“) – ein Versuch, anders zu leben, Auszeit zu nehmen vom üblichen Leben. Das diesjährige Thema „Riskier‘ was, Mensch! Sieben Wochen ohne Vorsicht“ ist wieder eine Auszeit der besonderen Art.

Auszeiten ändern nicht das Leben, aber man beginnt über manche Aspekte neu nachzudenken. Und schon das Nachdenken über das, was man sonst ganz automatisch macht, kann schon eine große Veränderung bewirken. Eine Auszeit bemisst sich nicht nach der Länge der Zeit, sondern nach der Veränderung, die sich dadurch ergibt.

Ein Wegkreuz wie das Titelbild dieses Gemeindebriefes findet man in Bayern an nahezu jedem Feldweg. Oft sind Gebete oder Danksagungen angebracht, und häufig findet sich auch eine Aufforderung, dort ein Vaterunser zu sprechen – eine kleine Auszeit bei der Feldarbeit oder beim Spazierengehen. Jeder Sonntag, jeder Gottesdienst isteine Erinnerung daran, sich eine Auszeit zu nehmen, zurückzutreten und zu
überlegen: „Will ich das tun, was ich gerade tue? – Und warum mache ich es nicht einmal anders?“
Gerade weil sich nicht jeder die großen Auszeiten leisten kann, sind diese kleinen so wichtig.

Christian Weller

Veröffentlicht im Gemeindebrief 02/2013 der Ev.-luth. Kirchengemeinde Moosburg a.d. Isar.

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