Es ist gerade schwer erträglich: ich sitze im Garten, es ist Vormittag und Zeit für einen Kaffee. Das wunderbare anhaltende Frühlingswetter ist mild, die Sonne scheint und ein leises Vogelkonzert macht die kurze Pause idyllisch. Frisch gestärkt werde ich mich gleich wieder an meinen Schreibtisch setzen.
Und dann fällt mein Blick auf die Tageszeitung: Ernste Gesichter, Schlagzeilen, die von Truppen und Bombardierungen berichten, auf dem Bildschirm ein Spendenaufruf einer Hilforganisation. Die Idylle ist nur temporär, eine kurze Verschnaufpause, bevor die harte Wirklichkeit mich wieder einholt.
Ich lebe in einem Land, das 77 Jahre Frieden genossen hat. Eine fast biblische Zahl. Unsere Gewissheit, meine Gewissheit, dass das so bleiben wird, hat sich wie bei so vielen in den letzten Wochen in Luft aufgelöst. Und da können wir dankbar sein, dass es bei uns nur die Gewissheit ist, die verschwunden ist, und nicht ganz konkret die Schule, das Krankenhaus, die Brücke nebenan.
Es ist als Christ schwer, mit lange geübten Worten vom Tod und der Auferstehung zu reden, wenn der Tod so nahe an einen heranrückt. Wir sind auf dem Weg nach Ostern, zur Feier der Auferstehung konfrontiert mit der Tatsache, dass in Europa wieder Menschen im Krieg sterben – und dass wir das nicht so angenehm ignorieren können, wie wir es seit vielen Jahren mit Kriegen in anderen Teilen der Welt gewohnt sind. Wir sind täglich konfrontiert mit den Menschen, die zu uns fliehen, mit steigenden Energiepreise und auch mit der eigenen Ohnmacht, die sich jetzt zeigt.
Der evangelische Theologe Henning Luther hat in seinem Aufsatz „Die Lügen der Tröster“ davon gesprochen, dass das Entscheidende des Glaubens nicht die Beruhigung ist, sondern die Befremdung. „Tröstlich ist dagegen die Befreiung, nicht länger lügen zu müssen, nichts länger beschönigen und verteidigen zu müssen. In Klage und Verzweiflung liegt mehr ehrliche Hoffnung als in Beteuerung von Sinn und Lebensgewißheit. […]. Nur wer klagt, hofft.“
Vielleicht ist dieser Krieg, bei all dem Leid, den er für die Menschen in der Ukraine und auch in Russland bedeutet, auch ein Aufbruchsignal: für das Ende von Scheuklappenmentalität, für einen Aufschrei der Menschen in der Welt gegen den Wahnsinn der Gewaltherrschaft und des Krieges, ja, auch gegen Hochrüstung und die wiedergekehrte nukleare Bedrohung. So ein Geisteswandel macht Hoffnung! Die Ostermärsche der letzten Jahre waren müde Erinnerungen an die 80er Jahre, als das Ringen um Frieden und Abrüstung in der Gesellschaft deutlich präsenter waren als bis vor kurzem. Ich wage die These, dass es dieses Jahr auf den Straßen wieder voller werden wird…
Der Wochenspruch aus dem Johannesevangelium passt da ganz gut: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Das Ende der Gewissheit kann auch der Anfang eines neuen Denkens sein. Das ist keine Vertröstung auf einen kommenden Frieden, sondern das Hoffen auf des Anders-Werden der Welt im Hier und Jetzt. Die Überzeugung, dass aus dem Tod wieder Leben entstehen kann und wird, ist das, was mich als Christen davon abhält, am Wahnsinn der Welt zu verzweifeln. Es ist noch nicht das Ende, solange wir noch klagen können. Und das dürfen, sollen und müssen wir auch tun. Schließlich finden wir jetzt schon in der Hilfsbereitschaft Zeichen für eine andere Welt, und wenn auch der Krieg noch nicht zu Ende ist: wir dürfen und müssen nicht nur für diese Zeit, sondern auch für den unweigerlichen folgenden Frieden planen und hoffen. Auch das ist der Weg zu Ostern.
Christian Weller
Veröffentlicht in der Moosburger Zeitung am 26.03.2022
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