Das Faschingswochenende steht bevor! Und wie immer würden wir es auch in Moosburg gerne wieder krachen lassen – nur, dass es dieses Jahr leider nicht gehen wird… Am Fasching reizt viele Menschen, dass sie ganz anders sein können. Aus dem Bankangestellten wird ein Pirat, aus dem Monteur ein Paradiesvogel und aus der Lehrerin ein Gorilla; Kindern werden zu Erwachsenen, ihre Eltern zu Tieren. Bis letztes Jahr waren die Masken in der Stadt bunter und nicht FFP2-zertifiziert.
In den letzten Monaten sind wir alle aber zu ständigen Maskenträgern geworden. Bedauerlicherweise herrschen im Alltag die blauen und schlichten Masken vor, aber das sind tatsächlich nur die sichtbaren Masken, die wir alle beim Einkaufen tragen müssen und sollten. Das persönliche Gespräch wie auch Schulunterricht und Konferenzen sind oft zu Telefon- und Videokonferenzen geworden, in denen wir uns gegenseitig nur noch als Bild oder Stimme und nicht mehr als volle Person wahrnehmen können.
Tatsächlich zeigt diese erzwungene Reduzierung eine Sache ganz deutlich: wir tragen eigentlich jederzeit eine Maske. Im Büro, bei der Arbeit haben wir eine Funktion, die uns erkenntlich macht, als Schüler*innen und Lehrer*innen haben wir auch einen meist festen Platz. In unseren Beziehungen – privater wie öffentlicher Natur – zeigen wir meist nur einen Teil unserer Persönlichkeit, so wie es auch im Videochat möglich ist, oberhalb mit Sakko oder Bluse, unterhalb des Tisches jedoch in Schlappen und Jogginghose zu erscheinen.
Wer ich wirklich bin, was mich in meiner Gesamtheit ausmacht, ist kompliziert und vielschichtig. Schließlich trete ich in meinem Leben immer wieder in anderen Rollen, mit anderen Masken auf. Schon alleine mich selber zu verstehen, ist ein recht hoher Aufwand, und einen anderen Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen, ist vermutlich eine Lebensaufgabe bis unmöglich. Und in jeder Begegnung, in jeder Beziehung gibt es Seiten von mir, die ich stärker hervorstellen möchte und Teile von mir, die ich lieber doch verstecke oder verschweige. Das kann ganz schön anstrengend sein, immer die beste (oder gewollte) Seite zeigen zu müssen, immer darauf zu achten, das Bild und die Maske, die man von sich malen möchte, aufrecht zu erhalten. Viele Menschen können zur Zeit ein Lied davon singen, wie es ist, vor den Bildschirm zu funktionieren, wenn die eigenen Batterien leer sind – Kinder wie Erwachsene schlaucht das Maske-Tragen im „echten“ wie im virtuellen Leben ungeheuer.
Wirklich mal so zu sein, wie man gerne wäre, ist befreiend. Auch mal grummeln zu dürfen oder laut zu schreien, auf manche Konventionen zu pfeifen oder halt auch einmal halbnackt durch die Wohnung zu springen – das ist auch notwendig. Sich vor einem anderen Menschen ungeschützt zu zeigen, seine Maske fallen zu lassen, ist schwerer, je länger man seine Maske schon trägt, und es ist ganz sicher nicht leicht, sich „ungeschminkt“ anderen gegenüberzustellen. Aber wie befreiend ist die Erfahrung, auch ohne eine Maske angenommen zu werden!
Einer der schönsten Psalmen der Bibel – Psalm 139 – spricht von einer solchen Erfahrung. „Herr, du erforschst mich und kennst mich. Du verstehst meine Gedanken von ferne.“ Das ist eine Erfahrung der Freiheit, nicht der Einengung. Die Bilder, die in diesem Psalm auftauchen, sind so klar gewählt, dass sie auch vielen hundert Jahren noch starke Emotionen zeigen. „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. (…) Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. (…) Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.“ Zu mir spricht hier ein Vertrauen, das Gott das zutraut, was ich vor anderen Menschen meist vermeide: mich offen zu zeigen, ohne Maske, in der Gewissheit, angenommen zu werden. Ein Vertrauen zu einem nicht nur allmächtigen, allwissenden Gott, sondern auch einem verständnisvollen, schützenden Gott – einer, der hinter meine Masken sieht und mich in meiner Gesamtheit sieht und annimmt. Eine sehr befreiende Erfahrung ist das, und eine beruhigende. Da kann ich auch problemlos mal auf die Maske zu Fasching verzichten.
Christian Weller
Veröffentlicht in der Moosburger Zeitung am 13.02.2021
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